Die Erfindungen der Deutschen

Die Erfindungen der Deutschen

Kein anderes EU-Land hat so viele Innovationen hervorgebracht

Philipp Reis ersann 1859 das Telefon. Es war nicht der Amerikaner Thomas Edinson, der den ersten fernübertragenen Satz sprach: „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat.“

„… und wer hat’s erfunden?“ Wild und aufgeregt tanzt das beschlipste schweizer Männchen um die finnischen Dickhäuter herum, die nach dem Saunagang ersteinmal ein Kräuterbonbon lutschen und so tun, als hätten sie sich die süßen Wohltaten ausgedacht. Doch der Eidgenosse wedelt so lange mit seinem Krawattenende herum, auf dessen Rückseite das alpine Kreuz prangt, bis sie’s zitternd zugeben: „Die Schweizer!“ Ein dreisilbriger Name erklingt im Singsang und dann ist klar, wie die Firma heißt, von der die Leckerlis kommen. Das Alpenvolk findet sich in der offiziellen Statistik der erfolgreichen europäischen Grübler vorderrangig wieder (fünfter Platz vor den Briten), jedoch liest sich die Plazierung in der Relation der absoluten Zahlen etwas anders: 2005 kam die Schweiz beim Europäischen Patentamt in München auf 5.000 Anmeldungen, Deutschland auf 23.800. Irgendwie sind wir zwar auch das Volk der Dichter und Denker, bestimmt aber das der Dübel und Düsen.

Das neue Kino kommt

Der neueste Einfall, allerdings nicht als rein deutsche Produkton: „WorldScreen“. Die gute Nachricht lautet, dass Kinobilder in Zukunft via Satellit und in digitaler Qualität die Lichtspielhäuser erreichen, die schlechte, dass der Filmvorführer dann einpacken und nach Hause gehen kann. So wollen es die Forscher des Fraunhofer-Instituts in Erlangen, die das 6-Millionen-Euro-Projekt zusammen mit Firmen wie Kodak und Deutsche Telekom Laboratories vorantreiben. Der Geniestreich dabei: Wenn es ähnlich wie bei der MP3-Technik, die ebenfalls von den Erlanger Wissenschaftlern entwickelt wurde, gelingt, die gewaltigen Datenmengen ohne Qualitätsverlust zu komprimieren, sehen wir bald auf der Breitbildleinwand eklatant verbesserte Bilder. Und das Kino wäre dem Fernsehen wieder einen Schritt voraus. Ebenfalls aus dem Hause Fraunhofer stammt eine Backenzahnprotese namens „Intellidrug“, die Medikamentenwirkstoffe automatisch an die Mundschleimhaut abgibt. Die Dosis stellt der Arzt über eine Fernbedienung ein.

Brauchen wir das alles?

Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage: Was braucht der Mensch und was nicht? Ganz sicher, wenngleich sie auch verboten werden soll, die ganz normale Glühbirne! Sie leuchtete zum ersten Mal 1854 für 40 Stunden und bestand aus Glas und Bambusfasern, die in einem Vakuum glühten. Der Deutsche Heinrich Göbel hatte zuvor 17 Jahre lang vergebens versucht, künstliches Licht zu erzeugen. Beharrlichkeit scheint daher eine der wichtigsten Tugenden der Erfinder zu sein. Denn das eint sie alle: Keiner gab auf. Artur Fischer nicht, der 1958 den Nylon-Dübel ersann, obwohl viele vorangegangene Versuche wegen schlechten Materials scheiterten. Professor Karlheinz Brandenburg nicht, der als „MP3-Vater“ in die Geschichte eingehen wird. Den Geistesblitz hatte er bereits 1986. Beim Duschen. Er wusste hernach, wie es technisch möglich sein würde, dass abertausende Musikstücke in eine Streichholzschachtel passen. MP3 unterdrückt überflüssige Frequenzen, die der Mensch nicht wahrnehmen kann, in einem „psychoakustischen Auswahlverfahren“. So einfach ist das. Aber der Weg war steinig, bevor Brandenburg, der „Visionen, Überstunden und Sturheit“ als Begleiter nennt, 1987 der Öffentlichkeit MP3 präsentieren konnte. Es sollte weitere elf Jahre dauern, bis der erste von der Industrie entwickelte Player auf den Markt kam.

Wir ersannen auch Zerstörerisches

Aus deutschen Erfinderköpfen stammt Nützliches, Spannendes, Süßes, Gesundes und – wie sollte es anders sein – auch Zerstörerisches. Otto Hahn begann 1938, das radioaktive Element Uran mit Neutronen zu beschießen. Das Ergebnis war spektakulär. Eine Kettenreaktion, die gewaltige Energien freisetzte. Die Grundlage der Atombombe und der Kernenergie war entdeckt. 16 Jahre zuvor kam der Bonner Süßwarenhersteller Hans Riegel auf den Gedanken, eine nach Frucht schmeckende Masse zusammen mit Speisegelantine in eine kleine Form zu gießen. Der Grundstock für Thomas Gottschalks fürstliche Rente war gelegt, das Gummibärchen erblickte das Licht der Welt. Und 1907 zwangen drei quängelnde Söhne und ein langer, harter Winter den Bayern Josef Schmidt zum Nachdenken, wie er die Buben beschäftigen konnte. Er zeichete auf ein Brett eine Spielbahn mit vielen Punkten und reichte dem Nachwuchs in unterschiedlichen Farben bemalte Minifiguren. Man spielte am Knisternden Kaminofen das Premierespiel „Mensch ärgere Dich nicht“, dem bis heute trotz über 70 Millionen verkaufter Kartons sowohl ein Komma als auch ein Ausrufezeichen fehlen.

Teebeutel & Co.

Airbag (1971), Antibabypille (1979), Aspirin (1897), Aufwindkraftwerk (1982), Auto (1886), Chipkarte (1968), Computer (1941), Dieselmotor (1890), Düsentriebwerk (1936), Faxgerät (1959), Fernsehen (1930), Hubschrauber (1936), Hybridmotor (1973), Jeans (1873), Kaffeefilter (1908), Motorrad (1885), Mundharmonika (1821), Scanner (1963), Schraubstollenschuh (1953), Segelflugzeug (1894), Teebeutel (1929), Thermoskanne (1903), Vakuum (1650), Zündkerze (1902) und – wir wollen es nicht vergessen – die Currywurst (1949). Alles in Deutschland ersonnen.

Weltmeister USA

Auch wenn sich die längst verstorbene Herta Heuwer am 4. September des vierten Nachkriegsjahres mit ihrer indischen Variante des in die Pelle gepressten Schweinkrams nicht wirklich in die Liste der deutschen Erfinder eintragen konnte, weil es sich nicht um eine patentrechtlich anerkannte Neuereung handelte. Ihr gebührt zumindest Anerkennung. Schuf sie doch mit der Currywurst etwas Einmaliges, das andererseits ganz gewöhnlich 800 Millionen Mal in einheimischen Mägen landet. Jahr für Jahr. Die wahren Tüftler, die Wadenbeisser des Neuen, haben das Telefon erfunden oder das Flugzeug. So wie Philipp Reis den Fernsprecher (1859). Es war nicht der Amerikaner Thomas Edinson, der den ersten fernübertragenen Satz sprach, der da lautete: „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat.“ Es waren nicht die Gebrüder Wright, die das Prinzip des Auftriebs, das nicht nur im Wasser, sondern auch in der Luft herrscht, dazu nutzten, abzuheben. Es war der Deutsche Otto Lilienthal (1894) an Bord eines Segelflugzeugs. Trotzdem: Mit 32.000 Patentanmeldungen in 2005 bleiben die USA Weltmeister im Erdenken (Japan: 21.500).

Die Erklärung heißt Philips

Allerdings, mahnt der Pressesprecher des Europäischen Patentamts, Rainer Osterwalder, wäre es ein Fehler, von absoluten Zahlen den Erfindergeist einer Nation abzuleiten. Zwar betrügen die sogenannten „Kleinanmeldungen“ (Einzelpersonen) 80 Prozent sämtlicher Einreichungen, doch liefe das Geschäft mit den Patenten unter den Global Playern derart unüberschaubar ab, dass man keine verlässliche „Volkszuordnung“ vornehmen könne: „Die Niederlande sind mit ihrer hohen Zahl der Erfindungen nur deshalb so weit vorne, weil die Erklärung dafür Philips heisst. Die koreanische Firma LG beispielsweise reichte vor zwei Jahren 11.050 Patente ein. Woher die Ideen dafür kommen, kann niemand zurückverfolgen. Es können deutsche Ingenieure sein, amerikanische, holländische, japanische.“

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