Wer erfand Völkerball – wer hat Völkerball erfunden

Völkerball

Völkerball – ein noch junger Wettkampfsport. Der im September 2010 in Lünen ausgetragene DTB-Pokal war erst die elfte Deutsche Meisterschaft des weltweit bekannten Ballspiels. Samstagmittag in der Sportschule Dammwiese in Lünen-Süd: Von drei abgeteilten Spielfeldern sind zwei völlig verwaist. Junge Damen in allen denkbaren Trikotfarben haben sich um das letzte Feld geschart und folgen wie gebannt dem Elfmeterschießen ihres Sports zu: Die Eins-gegen-Eins-Situation der letzten zwei verbliebenen Spielerinnen, wie sie einen Schmetterwurf nach dem anderen entschärfen. Als nach einer geschlagenen Viertelstunde die letzte Spielerin des TV Aschbach den Abwurf landen kann und das „letzte Negerlein“ von TA Rodenkirchen völlig ausgepowert darnieder sinkt, bebt die kleine Halle unter stehenden Ovationen.

Völkerball: ältestes Ballspiel der Welt

TV Aschbach gegen TA Rodenkirchen war ein Gruppenspiel der Deutschen Völkerball-Meisterschaft in Lünen bei Dortmund, nach dem Deutschen Turner-Bund auch auch „11. DTB-Pokal“ genannt. Hier trifft sich die „Elite“ einer Sportart, die eigentlich gar keine Elite sein will. Im Völkerball geht es nicht um Geld und Gewinn, sondern allein um Sport und Spiel. Für die Teilnehmerinnen dieses Turniers war der Wochenend-Ausflug ins Ruhrgebiet in erster Linie eine Riesen-Gaudi. Was zu hören war.

Völkerball wird von seinen Anhängern („Fans“ haben die Mannschaften in der Regel nur eine Handvoll) als „ältestes und bekanntestes Ballspiel der Welt“ bezeichnet, da es überall auf dem Globus gespielt wird – unter großzügiger Regelauslegung: Die Mannschaftsstärke ist ebenso frei variabel wie die Feldesgröße oder die Zählweise, ob mit oder ohne „Freiwerfen“ gespielt wird. Jeder Schüler in Deutschland hat irgendwann mal Völkerball gespielt, und sei es im Sportunterricht. In den Turnvereinen sind Völkerballspiele als Freizeitsport gang und gäbe, auf Turnfesten gehört er zum festen Programm.

Zur Erinnerung: Völkerball ist jenes Ballwurfspiel, wo sich zwei Mannschaften auf einem Volleyball-Platz ohne Netz gegenüberstehen und versuchen müssen, den Gegner durch „Abwerfen“ zu dezimieren. Hierbei wird jede Mannschaft durch eine Grundlinien-Spielerin ünterstützt, die hinter dem anderen Team placiert ist und ihren eigenen Kameradinen die Bälle wechselseitig zuwirft. Irgendwann kommt der Zielwurf auf Körper oder Beine der anderen Fraktion. Prallt der Ball von dort auf den Boden, scheidet die Getroffene aus. Bringt die andere Mannschaft den Ball aber unter ihre Kontrolle, wechselt der Ballbesitz fliegend, und die Jäger werden binnen Sekunden zu Gejagten. Gespielt wird, bis eine Mannschaft keine eigenen Spieler mehr auf dem Feld hat. Dadurch geht der Satz an den Gegner. Wie viele Sätze ein Spiel ergeben, ist wieder frei variabel.

Völkerball: ein junger Wettkampfsport

Doch seine Geschichte als Wettkampfsport ist relativ jung: Der DTB-Pokal in Lünen war erst die Elfte Ausgabe. Zwar wurden zuvor regionale Meisterschaften gespielt, doch von echtem Leistungssport kann (im Vergleich zu anderen Disziplinen) keine Rede sein. Das mag zum einen am traditionell reinen Freizeitstatus dieses Spiels liegen, zum anderen aber musste der DTB erst einmal allgemeingültige, feste Wettkampfregeln einführen, sie sie auch in Lünen praktiziert wurden:

Sieben Spielerinnen pro Team, ein Feld von 18 x 9 Metern, Freiwerfen nicht erlaubt (wer getroffen wurde, bleibt draußen), zwei Gewinnsätze (bei 1:1 heißt es Unentschieden). Stehen nur noch zwei Spielerinnen eines Teams auf dem Platz, darf die Grundlinien-Spielerin als „Joker“ ins Feld und ihren Platz einer Getroffenen abgeben. – In diesem vom DTB abgesteckten Rahmen finden die Wettkämpfe statt, wobei für jedes Spiel (zwei Sätze) 30 Minuten veranschlagt sind. Mitten drin war bewusst eine Mittagspause von zwei Stunden eingeplant. Da nämlich die Spiele aller drei Gruppen zeitgleich angeworfen wurden, kann ein richtiger Völkerball-Hitchcock à la „Aschbach gegen Rodenkirchen“ den Zeitplan mühelos über den Haufen werden – da schaut kaum jemand auf die Uhr.

„Völkerball und spannend?“, wird manch ein Schulsport-genervter Zeitgenosse ungläubig fragen. Wer es nicht glaubt, hätte in Lünen dabei sein sollen. Je nun, bis vor 25 Jahren hätte auch niemand glauben mögen, dass Tennis irgendwen vom Stuhl reißen könnte, bis Boris Becker seine Thriller zelebrierte …

Völkerball: eine familiäre Angelegenheit

Eine solche, ganz und gar übersteigerte Resonanz wird Völkerball wohl nie bekommen – und das ist vielleicht auch gut so. In Lünen selbst wurde das Turnier nur zwei-, dreimal sporadisch auf den hinteren Lokalsportseiten angekündigt, und der Andrang im Schulzentrum Dammwiese hielt sich wohltuend in Grenzen. Jedes Hallenfußballturnier von Kreisliga-Klubs scheint mehr Zuschauer anzuziehen als diese Nischen-Sportart. Beim Völkerball sind die Insider und Fachleute unter sich.

Gleichwohl: Stars und Helden könnten im Völkerball ebenso heranwachsen wie in jeder anderen Mannschaftssportart auch. In Lünen waren sie jedenfalls zur Stelle: Die Trickwerferinnen, die einen Abwurf so „harmlos“ lancieren können, dass das Ziel viel zu spät erkennt, was da auf sie zugeflogen kommt. Die Fangkünstlerinnen, die einen Schmetterwurf im Nachhechten so geschickt aufzufangen in der Lage sind, dass mancher Bundesligatorwart nur staunen kann. Und die Läuferinnen, die einen Abwurf geradezu provozieren, nur um dann behände auszuweichen, auf dass eine Kameraden den Ball für die eigenen Farben erobert. Dazwischen tummelte sich das Kanonenfutter – solche Teams, deren größter Erfolg darin besteht, hier teilnehmen zu dürfen und nicht „zu null“ zu verlieren.

Völkerball: das Turnier in Lünen

Der diesjährige DTB-Pokal wurde vom Turnverein des Lüner SV ausgerichtet. Dessen Völkerball-Truppe gehört seit vielen Jahren zu den Großen dieses Sports – ihre Ligameisterschaften und Westfalenpokal-Erfolge sind kaum mehr zu zählen. Vor einem Jahr gewann der LSV das Turnier auf dem Deutschen Turnfest in Franfurt am Main.

Insgesamt waren 15 Mannschaften in Lünen angetreten. Sie alle hatten sich über die ersten drei Plätze ihrer eigenen Regionalmeisterschaft für dieses Turnier qualifiziert. Sie wurden in 3 Gruppen à 5 Teams aufgeteilt und spielten dort im Modus jeder gegen jeden. – Die zwei Gruppenletzten trugen eine Trostrunde „Platz 10-15“ aus, die übrigen starteten einen komplizierten Ausscheidungsmodus. Alles in allem waren 60 Partien nötig, um den neuen DTB-Pokalsieger (und Deutschen Meister) zu krönen, das sind mehr als bei jeder Fußball-WM mit 32 Teilnehmern.

Am Ende stand jene Mannschaft ganz vorn, die nach dem Krimi gegen Aschbach noch am Boden gelegen hatte: TA Rodenkirchen aus der Wesermarsch (der Gegend zwischen Bremen und Bremerhaven) wurde durch den Sieg über Oythe zum sechsten Male Deutscher Völkerball-Meister. Gastgeber Lüner SV erreichte den elften Platz.

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