Wer erfand Luftgitarre

Luftgitarre

Die Luftgitarre – ein Instrument für jeden. Joe Cocker gilt als Vater des imaginären Instruments, das seit 1996 als Wettkampfdisziplin gezupft wird. Auch die Medienwissenschaft zeigt Interesse an diesem Phänomen.

Der Erfinder des Gitarrenspiels ohne Gitarre soll nach ungeprüften Gerüchten Jack Philson sein, der schon 1951 imaginäre Saiten zupfte, um eine Frau zu beeindrucken. Als Wegbereiter für den weltweiten Siegeszug des Instruments gilt jedoch zu Recht Joe Cocker, der bei seinem legendären Auftritt 1969 in Woodstock zu „With a little Help from my Friends“ das Fingergezappel zu seinem Markenzeichen erkor.

Luftgitarre: Ein Instrument, das keine Begabung erfordert, nichts kostet und nie verstimmt ist

Die Luftgitarre erfreut sich seitdem in Rock- und Heavy-Metal-Kreisen großer Beliebtheit auf Tanzflächen und bei Konzerten, da wohl nur dieses Instrument dem Spieler echtes Rockstar-Feeling auch ohne jedes musikalische Können vermittelt. Nebenbei kostet es nichts, muss nie gestimmt werden und nimmt selbst bei gröbster Behandlung keinen Schaden.

Doch aus Spaß kann auch Ernst werden: seit 1996 sind pubertäre Verrenkungen auf der Bühne Weltmeisterschaftsdisziplin. Natürlich in Finnland, dem Land der unbegrenzten unsinnigen Wettkämpfe, in dem die Menschen sich in langen trüben Wintern mit Gummistiefel-Weitwurf oder Rennen mit Ehefrauen auf dem Rücken die Zeit vertreiben.

Bei der Luftgitarrenweltmeisterschaft in Finnland zählen Performance und Outfit

Im finnischen Oulu hat jeder Kandidat zu je 60 Sekunden Musik vom Band Pflicht und Kür zu absolvieren. Wie im richtigen Rocker-Leben werden dabei lange Mähnen geschüttelt und – wenn auch unsichtbare – Gitarren zertrümmert, und so manch einer musste sogar schon nach missglücktem Stage-Diving verletzungsbedingt aufgeben. Nach einigen Jahren japanischer und amerikanischer Vorherrschaft setzte sich 2009 der 28jährige Franzose Sylvain Quimene unter dem Künstlernamen „Gunther Love“ in dem Feld der aus 21 Staaten angereisten Teilnehmer durch. Er überzeugte die strenge Jury nicht nur mit akrobatischen Kunststücken und enorm realistischen Fingerübungen, sondern auch mit seinem extravaganten hautengen Glitzer-Outfit.

Wissenschaftliche Beschäftigung mit der Luftgitarre: Seminar der Universität Hildesheim

Medienwissenschaftler Dr. Mathias Mertens von der Universität Hildesheim näherte sich gemeinsam mit zahlreichen interessierten Studenten erstmals den musikkulturellen Aspekten des Luftgitarrenspiels, um die Teilhabe des Menschen an der Popkultur zu beleuchten. Dabei stellte er vor allem fest, dass im Gegensatz zum spontanen Disko-Klampfen, das sich als Ausdruck von Männlichkeit „in all seinen phallozentrierten Implikationen“ darstellt, das Wettkampfspielen eine ernstzunehmende Performancekunst ist, die Frauen mindestens ebenso gut beherrschen wie Männer. Denn es geht nach den Ausführungen des ehemaligen Hobby-Headbangers Dr. Mertens um die spielerische Überzeichnung und Verfremdung des männlichen Machogehabes und nicht etwa darum, auf der Bühne die eigene Persönlichkeit darstellen zu wollen.

Als erwünschten praktischen Nebeneffekt des Seminars schafften es im Anschluss sogar sechs Teilnehmer in die Endrunde der deutschen Meisterschaft, an der sich insgesamt auffallend viele weibliche Luftgitarreros erfolgreich beteiligten.

Mit „Muci“ sollen Luftgitarristen künftig auch Musik erzeugen

Wer sich wie ein Rockstar fühlen will, kann bereits anstelle bloßer Trockenübungen vor dem Spiegel beim Spiel „Guitar Hero“ auf einem Gitarrencontroller Knöpfe drücken und damit ohne ausgeprägte Fingerfertigkeit gespeicherte Musikstücke nach Vorlage nachspielen. In absehbarer Zeit soll das aber sogar ohne die Gitarrenimitation aus Plastik funktionieren. Ein Wissenschaftler-Team der Universitäten Washington und Toronto unter der Leitung von T. Scott Saponas tüftelt derzeit an einem Armband, das mit Elektromyografie-Sensoren die Muskelbewegungen der Finger als elektrische Signale aufnimmt und in Steuerbefehle an den Computer umsetzt. Mit diesem so genannten „Muci“ (Muskel-Computer-Interface) lassen sich nach Demonstrationen mit dem zur Zeit noch verkabelten Prototyp bereits Gitarrenparts auf dem Computer zum Klingen bringen.

Der Luftgitarrengemeinde könnten sich damit neue Welten eröffnen, und dass der Spaß wegen schräger Töne auf der Strecke bliebe, steht kaum zu befürchten. Denn zum Glück setzt auch „Muci“ keine echten gitarristischen Fähigkeiten voraus, sondern wertet großzügig jeden noch so unsauberen Griff, wenn sich die Finger bloß grob in der richtigen Gegend befinden, als Treffer, der den gewünschten Ton hervorbringt.

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