Harald Sioli – 100. Geburtstag

Der Gewässerkundler Harald Sioli ist der Vater von Schwarzwasser, Weißwasser und Klarwasser aus dem Gebiet des Amazonas. Er hatte manche Kröte zu schlucken.

Zwei Weltkriege begleiteten das Leben von Harald Sioli und seiner Zeitgenossen. Am 25. August 1910 wurde er in der kleinen Stadt Köthen nahe bei Bitterfeld geboren. Seine frühe Schulzeit in Halberstadt, Aachen und Mannheim lag mitten im Ersten Weltkrieg. Schon als Schuljunge verschlang er die Reiseberichte von Humboldt, Wallace oder Darwin, berühmter Forscher und Weltreisender. Er studierte später Biologie in Heidelberg, Göttingen und Kiel. 1934 war er als Assistent der Hydrobiologischen Anstalt der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft – heute Max-Planck-Institut für Limnologie – in Plön tätig und machte eine erste Forschungsreise nach Brasilien. Vier Jahre später bliesen die Schiffssirenen des Passagierdampfers „Monte Rosa“ ihm fast das One-Way-Ticket von Hamburg nach São Paulo aus der Hand. Seine zweite Forschungsreise galt der Aga-Kröte und ihrem Trockenschlaf.

Harald Sioli, die Aga-Kröte und ein unerwarteter Tropenregen

Harald Sioli wollte in Brasilien dem Sommerschlaf der Amphibie auf den physiologischen Grund gehen: Die Aga-Kröte (Bufo marinus) besitzt die Fähigkeit, in heißen Sommern trotz hoher Temperaturen, die den Stoffwechsel eigentlich anregen, in einen Trockenschlaf zu fallen. Doch die Kröten machten ihm einen Strich durch Rechnung: „Die Kröten, die ich ‚trocken legte’, notierte Sioli enttäuscht „zogen es vor, zu vertrocknen und zu sterben, anstatt in Sommerschlaf zu verfallen.“ Aufgrund des Zweiten Weltkrieges kehrte er verspätet nach Deutschland zurück, um 1939 erneut nach Südamerika aufzubrechen. Im Nordosten Brasiliens wollte er anstatt experimentelle Versuche Feldstudien an sommerschlafenden Bufo marinus durchführen. Die Freilandstudien fielen wegen Regen ins Wasser. Ausgerechnet in diesem Jahr regnete es ausnahmsweise im brasilianischen Trockengebiet Bindfäden. Die Kröten sprangen munter umher und dachten gar nicht an Sommerschlaf. Sioli beschloss, den Amazonas zu bereisen.

Amazonas – fast Meer, denn Fluss oder Strom

Der Amazonasstrom und seine Wassermassen zogen ihn in seinen Bann. Als 1942 Brasilien den Krieg erklärte, wurde er verhaftet und landet in einem Internierungslager nahe Belém. Dort arbeitete er ohne medizinische Ausbildung als Arzthelfer und sogar als Leiter eines Tropenkrankenhauses. Erst im September 1945 konnte er sich wieder seinen biologischen Forschungen widmen, speziell der Limnologie (Gewässerkunde) des Amazonas und der zahlreichen Zuflüsse. Am Río Solimões und Río Negro, Río Cupari und Rio Tapajóz entdeckte unter anderem das Weißwasser, Schwarzwasser und Klarwasser, eine gewässerkundliche Klassifizierung, die grundsätzlich heute noch gültig ist. Auch der landschaftsökologisch Begriffe Várzea und der gewässerökologische Begriff Igarapé wurden von Sioli geprägt.

Er arbeitete an zahlreichen Institutionen in den Tropen. 1954 wurde das brasilianische Instituto Nacional de Pesquisas da Amazonia (INPA, Nationalinstitut zur Erforschung Amazoniens) in Manaus gegründet und Sioli als Leiter berufen. Seine Arbeit war inzwischen von den Kröten über die Gewässerkunde zur globalen Ökologie gewachsen. Das Schleswig-Holsteinische Tageblatt vom 14. Juni 1957 berichtete über Schlussfolgerungen aus Siolis Forschungen: „Dem rücksichtlosen Raubbau in den Urwäldern muss von Seiten Wissenschaft durch Aufklärung entgegen getreten werden.“ 1971 warnte er vor dem Anstieg von Kohlendioxid und andere Treibhausgase in der Atmosphäre, verursacht unter anderem durch Abholzung der tropischen Wälder. Die brasilianische Presse prägte dann der Begriff der „Grünen Lunge“ für Amazonien. Harald Sioli starb 2004 in Plön. Das Geheimnis der sommerschlafenden Kröten haben andere gelüftet. Wie Recht er mit seinen wissenschaftlich begründeten ökologischen und klimatologischen Vorhersagen hatte, erlebte er nicht mehr.

One thought on “Harald Sioli – 100. Geburtstag

  1. Harald Sioli hat nicht die drei verschiedenen Wassertypen am Amazonas erfunden!
    Es war 1853 Alfred Russel Wallace, der die Wassertypen black, white und blue nannte.

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