Revolution mit Mechanik und Dampf

Der Beginn des industriellen Zeitalters. Die industrielle Revolution bedeutete umwälzende Veränderungen in allen Bereichen der menschlichen Gesellschaft binnen weniger Jahrzehnte.

Während noch wenige Jahrzehnte zuvor ein Adelstitel höchste Anerkennung hervorrief, der Handwerker zumindest ein geachteter Stand war und der Herr Geheimrat mit vielen ehrerbietigen Bücklingen bedacht wurde, stand bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Ingenieur ganz oben auf der Skala der gesellschaftlichen Anerkennung. Die Welt hatte sich grundlegend verändert.

Revolution der Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur

Belief sich die Bevölkerung in Deutschland um 1800 noch auf 23 Millionen, waren es 1870 bereits 41 Millionen Menschen. Aus unbedeutenden Städten wurden große Industriestandorte. Allein zwischen 1860 und 1870 hatte sich die Bevölkerung des Ruhrgebietes vervierfacht. Aus der Mehrzahl der ehemaligen Bauern und Handwerker waren Arbeiter geworden, die nahezu militärisch organisiert, in mit Dampfmaschinen ausgestatteten Fabriken einfachste Arbeiten gegen Hungerlöhne ausführten.

Revolution des Verkehrswesens

1814 baute der Engländer Georg Stephenson seine erste Lokomotive und gründete 1821 seine erste Lokomotivenfabrik. Die erste Eisenbahnstrecke in Deutschland (Nürnberg-Fürth) wurde 1835 eröffnet. 1840 betrug die Länge des Eisenbahnnetzes bereits 549 Kilometer, nur 30 Jahre später umfasste das Streckennetz 19.575 Kilometer.

1818 fuhr erstmals ein Schiff mit Dampfkraft über den Atlantik. 1847 wurde die Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG) gegründet, später eine der größten Reedereien Deutschlands. 1857 wurde der Norddeutsche Lloyd (NDL) gegründet, der bereits in den 1860 er Jahren die Bremen-Nordamerikafahrt monopolisierte. In der Post- und Auswandererbeförderung wurde der NDL die führende Deutsche Reederei vor der Jahrhundertwende.

Revolution der Kommunikation

Die erste Schnelldruckpresse baute 1810 der Leipziger Buchdrucker Koenig in England. 1814 wurde die Londoner Times erstmals auf einer Schnelldruckpresse von Koenig gedruckt.

1837 erfand Morse den Schreib-Telegrafen und bereits zehn Jahre später gründeten Hamburg und Bremen die ersten Telegrafenlinien des europäischen Festlandes. Reis entwickelte 1861 den ersten Fernsprecher, 1876 realisierten Bell und Gray das Telefon. Für die Kommunikation zwischen Europa und USA wurde 1866 das erste Tiefseekabel durch den Atlantik verlegt.

Revolution der Industrie

1802 wurde der erste Hochofen mit Dampfgebläse in Königshütte in Betrieb genommen. Die Lokomotivenfabrik Henschel wurde 1810 in Kassel und im gleichen Jahr in Oberhausen die Gutehoffnungshütte gegründet. 1811 entstand die Gussstahlfabrik Krupp in Essen, bereits 1855 waren mehr als 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Siemens & Halske wurde 1847 in Berlin gegründet.

Die Industrialisierung lässt sich von ihrer technischen Seite her sehr gut durch die Pferdestärken der insgesamt eingesetzten Dampfmaschinen darstellen. So gab es im Jahre 1840 in Deutschland Dampfmaschinen mit einer Gesamtstärke von rund 40.000 PS. Im Jahre 1870 betrug diese Zahl schon 2.480.000 PS.

Revolution der Finanzwelt

Von 1834 bis 1850 wurden ganze 11 Aktiengesellschaften in der Preußischen Schwerindustrie gegründet, im Zeitraum von 1851 bis 1857 kamen weitere 119 hinzu. Die erste Deutsche Aktienbank modernen Typs, der Schaffhausensche Bankverein, wurde 1848 in Köln gegründet. Fünf Jahre später entstand die Bank für Handel und Industrie in Darmstadt. 1855 arbeiteten in Frankfurt, dem führenden Platz für das Bankwesen in Deutschland, 109 Privatbanken, deren Zahl in Folge von Konzentrationsbestrebungen immer mehr abnahm. 1865 schließlich wurde die Essener Börse eröffnet.

Auflösung alter Strukturen

Die so sauber anmutende Erfolgsgeschichte der Industrialisierung lief natürlich nicht ohne erdbebenähnliche gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Strukturanpassungen ab. So wurden Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Abschaffung der Binnenzölle in Preußen, der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Einrichtung der vollständigen Gewerbefreiheit durch die Hardenbergschen Gesetze die bisherigen Hemmnisse für Handel und Industrie abgeschafft.

Damit war die politische Macht des Adels und die wirtschaftliche Macht des Zunfthandwerks zumindest formal abgeschafft. Weitere Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen wie Pressefreiheit, der Deutsche Zollverein (1833), Vereinheitlichung des Deutschen Münzwesens (1838), Regelung des Aktienrechtes (1843) schufen schließlich die Rahmenbedingungen für einen ungehemmten Kapitalismus.

Verelendung und Revolution

1840 betrug die Wochenarbeitszeit in Deutschland 83 Stunden. Mitte der 40er Jahre waren Arbeitslosigkeit und Betriebsschließungen an der Tagesordnung. Dies und die große Agrarkrise führte zu einer neuen Auswanderungswelle. Allein zwischen 1846 und 1855 verließen 1,1 Millionen Menschen Deutschland. 1851 lebten 72% der Bevölkerung des Preußischen Staates unter dem Existenzminimum. 1848 kam es schließlich zum Aufstand der Bevölkerung, weil die Behörden und Regierungen kaum auf die Notzustände reagieren.

Gründerkrach

Von 1870 bis 1873 waren 958 Aktiengesellschaften gegründet worden. 3,6 Milliarden Mark Aktienkapital waren hier zusammengetragen worden. Dem gewaltigen Gründungsboom folgte 1873 der Gründerkrach. Viele der Aktiengesellschaften gingen bankrott und verursachten eine tiefe Wirtschaftskrise mit wieder hoher Arbeitslosigkeit und Not.

Sozialgesetze und Sozialistengesetze

Mit Verboten von Arbeitervereinigungen versuchte der Staat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die sozialen Konflikte unter Kontrolle zu halten. 1872 wurden die sogenannten Koalitionsverbote für das gesamte Gebiet des Deutschen Reiches aufgehoben. Die 1878 eingeführten Sozialistengesetze sollten die revolutionären Potentiale der Arbeiterbewegung unterdrücken. Auf der anderen Seite gab es eine Reihe von Sozialgesetzen wie Krankenversicherungs-, Unfallversicherungs- und Invaliden- und Altersversicherungsgesetz.

Gesellschaftlicher Strukturwandel vollzogen

Mit der Aufhebung der Sozialistengesetze 1890 präsentierte sich Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts mit Arbeitgeberverbänden, Kammern, Sozialgesetzen, Gewerkschaften und freiheitlicher Gewerbeordnung als modern strukturierte Industriegesellschaft.

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